T. Haas: Geistliche als Kreuzfahrer

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Titel
Geistliche als Kreuzfahrer. Der Klerus im Konflikt zwischen Orient und Okzident 1095–1221


Autor(en)
Haas, Thomas
Reihe
Heidelberg Transcultural Studies 3
Erschienen
Heidelberg 2012: Universitätsverlag Winter
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Martin Völkl, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Regensburg

Wie schon die Kreuzzugschronistik des 11. bis 13. Jahrhunderts, so orientieren sich traditioneller Weise auch die mittlerweile so zahlreichen Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Kreuzzüge bei der Beschreibung der «bewaffneten Wallfahrten» in erster Linie an den Taten der Großen, der Mächtigen, der Fürsten. Die Angehörigen anderer gesellschaftlicher (Teil-)Gruppen werden in den Überblickswerken zur Kreuzzugsgeschichte in der Regel nur am Rande thematisiert. Dieser durchaus einseitigen Betrachtungsweise stellten sich in den letzten Jahren einige wertvolle Studien entgegen, die sich speziell mit der Rolle der Frauen auf Kreuzzügen sowie mit der sozialen Schichtung der Kreuzfahrerheere auseinandersetzten (Zur Rolle der Frauen siehe besonders Sabine Geldsetzer, Frauen auf Kreuzzügen. 1096–1291, Darmstadt 2003). Ebenfalls mit der Situation der Frauen, aber auch mit den sozialen Gruppen der Pauperes, Milites, Iuvenes und Principes, die sich in den Quellen zum Ersten Kreuzzug ausmachen lassen, befasst sich Conor Kostick, The Social Structure of the First Crusade [The Medieval Mediterranean, Bd. 76], Leiden/ Boston 2008). Hier reiht sich nun auch Thomas Haas mit seiner Heidelberger Dissertation ein, in der er sich mit dem Handeln des gesellschaftlichen Standes der oratores auf den Kreuzzügen des 11. bis frühen 13. Jahrhunderts beschäftigt und damit eine bisher bestehende Lücke in der historischen Kreuzzugsforschung schließt.

In seiner Einleitung erläutert Haas zunächst die Vielfalt der Kirchenämter innerhalb der Gruppe der Geistlichen, zu der er neben den Weltgeistlichen, die für die Seelsorge der Kirchengemeinde verantwortlich sind, auch das Mönchtum zählt (18–26). Ausserdem führt er zwei Kategorisierungssysteme ein, die er für hilfreich hält, Besonderheiten des Verhaltens von Klerikern und Mönchen während eines Kreuzzugs festzustellen: Erstens unterscheidet er dabei «geistliches » von «weltlichem» Handeln. Während er z.B. das Gebet, die Predigt, das Lesen der Messe, die Leitung von Prozessionen und anderen Bußübungen als geistlich-religiöse Handlungen charakterisiert, gehören für ihn die Funktionen als Ratgeber, Mahner, Richter, Feldherr, Krieger und Gesandter in den säkularen Bereich (26). Diese Gegenüberstellung von geistlichem und weltlichem Handeln erscheint jedoch nicht immer unproblematisch, stellt doch gerade ein Kreuzzug seinem Wesen nach eine Mischung aus beidem dar: Pilgerfahrt und Kriegszug. So muss auch Haas zugeben, dass «an mancher Stelle die eindeutige Zuordnung [einer Handlung zur religiösen oder säkularen Kategorie] nicht möglich» sei. Im Rahmen seines zweiten Einteilungssystems unterscheidet Haas dann «nach innen» und «nach außen» (26f.) gerichtetes Verhalten von Geistlichen: So zählt er neben der Seelsorge und anderen religiösen Aufgaben auch die vor allem während des Ersten Kreuzzugs zahlreich überlieferten Visionen von Geistlichen, sowie ihre Funktion als Ratgeber, Truppenführer und Gesandte zu «internen» Handlungsakten innerhalb des Kreuzheeres oder zumindest innerhalb des christlich-abendländischen Kulturkreises. «Externes», also nach aussen gerichtetes Handeln umfasse demnach den kulturellen Kontakt zu Byzantinern und Muslimen, der sich unter Anderem in Gesandtschaften, Kampf und Missionierung ausdrücken könne. Doch auch bei dieser Einteilung sind die Grenzen fließend, wie beispielsweise bei den mehrfach überlieferten Kriegsreden, in denen Geistliche sich zwar «nach innen» an ihre Mitstreiter wenden, damit aber eine «nach außen», nämlich gegen den Feind gerichtete Aktion hervorrufen wollen. Haas selbst stellt bei dieser Art der Kategorisierung «die Gefahr gewisser Unschärfe und Oberflächlichkeit» fest.

Bei der Analyse der historiographischen Quellen (und einiger Kreuzzugsbriefe) hinsichtlich des Handelns von Geistlichen auf Kreuzzügen nimmt die Beschäftigung mit dem Ersten Kreuzzug den weitaus größten Raum ein (29–156). Hierbei handelt der Autor nacheinander die Werke der Kreuzzugsteilnehmer ab (35–94), sodann folgen spätere, z.T. abhängige Überlieferungen (95– 148). Zum Vergleich werden überdies mit Anna Komnenas Alexias und mit Ibn al-Athīrs Chronik zwei Quellenwerke herangezogen, die ein Bild des Ersten Kreuzzugs und der beteiligten Geistlichen aus byzantinischer und muslimischer Sicht bieten (148–156). Anschließend widmet sich Haas ausgewählten historiographischen Quellen zum Zweiten (160–172), Dritten (175–197), Vierten (201– 212) und Fünften Kreuzzug (214–222). Dabei stellt er im diachronen Vergleich fest, dass die Chronisten der späteren Kreuzzüge in Bezug auf das Handeln der Geistlichen vornehmlich vom Verhalten der teilnehmenden Bischöfe, Erzbischöfe und päpstlichen Legaten erzählen. Umgekehrt sei gerade in den Quellen zum Ersten Kreuzzug immer wieder die Rede von Taten und Visionen von Angehörigen der niederen Geistlichkeit. Generell treten im Rahmen des Ersten Kreuzzugs nur wenige Geistliche namentlich hervor, allen voran Adhémar, der päpstliche Legat und Bischof von LePuy, und der Wanderprediger Petrus von Amiens. Dagegen werden ab dem Zweiten Kreuzzug in der Regel die Namen von zahlreichen Bischöfen und Äbten überliefert, die sich an den Orientzügen beteiligten. Die Anwesenheit von Mönchen, Nonnen und Äbten werde insgesamt, vor allem aber in den Quellenwerken zum Ersten Kreuzzug vergleichsweise selten erwähnt. Außerdem konstatiert Haas, dass in den Quellen zum Ersten Kreuzzug das Verhältnis von «internen» zu «externen» Handlungsakten durchschnittlich im Verhältnis von 6:1 liege, wobei in den späteren Kreuzzügen das Übergewicht des Handelns «nach innen» leicht zurückgehe. Bei den «geistlichen» und den «weltlichen» Taten sei das Verhältnis zumindest in den meisten Quellen zum Ersten Kreuzzug noch einigermaßen ausgeglichen, während später die säkularen Handlungen überwiegen.

In einem weiteren Abschnitt beschäftigt sich Haas sodann mit einzelnen «internen» und «externen» Handlungsaspekten, die er wiederum in ihrer diachronen Entwicklung betrachtet. Unter die «nach innen» gerichteten Taten von Geistlichen zählt er die Aufgaben der «Militärseelsorge» (Gebete, Messfeiern, Bussrituale, Beerdigungen und Predigten), die Motivation der Kreuzfahrer vor der Schlacht, die Identitätsstiftung im Rahmen liturgischer Akte, den Umgang mit himmlischen Visionen, die Beratung und Ermahnung der anderen Kreuzfahrer, die Schlichtung von Streitfällen, die selbständige Führung einer Kreuzzugsabteilung und die Gesandtschaften zu Mitgliedern der lateinischchristlichen Eigengruppe (225–264). Interkulturelle Kontakte, Gesandtschaften zu byzantinischen und muslimischen Großen, Missionierungsversuche und das Handeln als Krieger und Feldherr werden hingegen unter den «externen Aspekten» behandelt (265– 280). In einer abschließenden Synthese fasst der Autor die Handlungsmöglichkeiten geistlicher Kreuzzugsteilnehmer noch einmal zusammen (281–293). Ein Personen- und Ortsregister rundet die Arbeit ab. Mit großem Fleiß hat Haas für seine Arbeit eine Vielzahl an Quellenbelegen gesammelt, die geistliche Akteure und ihr Handeln auf Kreuzzügen eindrucksvoll dokumentieren. Dennoch wäre es wünschenswert gewesen, die in den Fußnoten zitierten Quellenstellen im Fließtext ausführlicher und genauer zu paraphrasieren. Freilich stellt es einen Extremfall dar, wenn der Autor in einer Fußnote auf insgesamt zwanzig Zeilen eine Adhémar von LePuy zugeschriebene Kriegsrede anführt, die er im Haupttext nur mit den Worten «er hält eine Rede vor dem Ausfall aus Antiochia und verspricht im Falle des Todes das Martyrium» zusammenfasst (97, Fn. 352; diese Kurzzusammenfassung ist schon deshalb problematisch, weil im lateinischen Text den Kreuzfahrern im Falle ihres Todes zwar «ewige Freuden» im Jenseits zugesagt werden, wohingegen eine Wertung der Gefallenen als «Märtyrer» keine explizite Erwähnung findet). Ähnlich führt Haas in zahlreichen weiteren Fußnoten überlange lateinische Quellenpassagen an, die im Fliesstext zum Teil nur unzureichend paraphrasiert werden.

Neben dem durch manch ausuferndes Quellenzitat unnötig aufgeblähten Fußnotenapparat fallen zudem einige Flüchtigkeitsfehler ins Auge, die sicherlich vermeidbar gewesen wären: So steht etwa die Abkürzung RHC nicht für «Revue des Historiens des Croisades» (15; stattdessen: «Recueil des Historiens des Croisades»); der Zisterziensermönch Otto wurde im Jahr 1138 nicht Bischof von «Freiburg» (161), sondern Bischof von Freising; Stephan von Blois, englischer König von 1135 bis 1154, war nicht der «Sohn» Wilhelms des Eroberers (186, Fn. 835), sondern sein Enkel; und auf der Schlacht von Andernach kämpften am 8. Oktober 876 nicht «die Männer Ludwigs des Deutschen» (232), der bereits am 28. August desselben Jahres verstorben war, sondern die Krieger Ludwigs III. des Jüngeren. Davon abgesehen ist Haas mit seiner Dissertation insgesamt eine durchaus gewinnbringende Studie gelungen. Eindrucksvoll erscheint vor allem die erarbeitete Fülle an verschiedenen Handlungsfeldern, in denen geistliche Kreuzzugsteilnehmer während der ersten fünf Kreuzzüge wirkten.

Zitierweise:
Martin Völkl: Rezension zu: Thomas Haas, Geistliche als Kreuzfahrer. Der Klerus im Konflikt zwischen Orient und Okzident 1095–1221, Heidelberg, Winter, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 676-678.